Mit Neugier glücklich altern

Älter werden und sich dennoch glücklich fühlen – ist das überhaupt möglich? Und ob, sagt die Autorin und Glücksexpertin Diane Hielscher. Im Interview erklärt sie, warum es so wichtig ist, stets neugierig zu bleiben, und welche Bedeutung gute Beziehungen (nicht nur) für ältere Menschen haben.
Frau Hielscher, Sie schreiben, Glück sei kein Zufall. Doch wie können wir unser Gehirn aufs Glücklichsein trainieren?
Indem wir ganz bewusst und achtsam schauen: Welche Inhalte dürfen meinen Geist formen? Denn mal ehrlich: Wie glücklich kann man sein, wenn man sofort morgens im Bett mit dem Smartphone alle Katastrophen der Welt auf sich einprasseln lässt? Wenn man permanent lästert, sich beschwert, jammert, nur das Schlechte sieht und sich Geschichten darüber erzählt, dass alles den Bach runter geht?
Es liegt in unserem Ermessen: Womit beschäftige ich mich? Wir alle können jeden Tag bewusst steuern, welche Inhalte unser Gehirn formen dürfen. Wir selbst können Geschichten von Lösungen lesen oder darüber sprechen, wir können uns mit Ideen beschäftigen oder etwas Kreatives tun.
Ich meine damit nicht, alles Negative zu ignorieren, das ist toxische Positivität – aber wir haben die Macht, konstruktiv mit Problemen umzugehen. Anstatt zu sagen: „Alles ist schlecht!“, haben wir jeden Tag die Wahl zu fragen: „Wie kann ich es besser machen?“ Oder: „Was läuft schon gut?“ Oder: „Wo sind Vorbilder, von denen ich lernen kann?“
In einem Ihrer Bücher beschäftigen Sie sich mit dem Thema Glück im Alter. Warum fällt es vielen Menschen schwer, das Älterwerden positiv zu sehen – und wie lässt sich diese Einstellung nachhaltig ändern?
Unser Problem ist, dass wir irgendwann denken, alles zu wissen, alles gesehen und erlebt zu haben. Wir kennen Sonnenuntergänge, wir wissen, wie Blumen riechen, wir waren bereits verliebt, haben uns getrennt. Es stellt sich das Gefühl ein, dass alles nur noch ein Abklatsch von dem ist, was wir sowieso schon kennen. Und genau mit dieser Erwartung und dieser Vorstellung langweilen wir uns dann zu Tode.
Im Buddhismus gibt es den sogenannten „Anfängergeist“, der besagt, dass man immer wie ein Anfänger durchs Leben gehen soll. Neugier und das Gefühl, dass es noch so viel da draußen zu entdecken gibt, lässt uns besser altern. Dazu gibt es sehr viele Studien. Wer es schafft, sich Neugier bis ins hohe Alter zu bewahren, immer wieder Lust hat, etwas Neues zu lernen und zu entdecken, altert besser, hat mehr Spaß und ist viel glücklicher.
Der Schlüssel dazu sind unsere Gedanken: Wenn wir entdecken und lernen wollen, werden wir tausend Möglichkeiten dafür finden. Wenn wir uns gesunde, fitte ältere Leute anschauen, werden wir auch weniger Angst davor haben, komplett zu verfallen. Denn genau diese Bilder formen unsere Synapsen im Gehirn. Wenn wir viele Hobbys haben, stehen unsere Pläne und Visionen im Fokus. Also ist auch da wieder die Frage: Womit beschäftige ich mich eigentlich den ganzen Tag? Welche Aussagen, Glaubenssätze und Annahmen über die Welt und das Älterwerden formen mein Gehirn?
Welche Aspekte des Älterwerdens könnten uns glücklicher machen, ohne dass wir dies vielleicht in jungen Jahren ahnen?
Die Gelassenheit! Das ist etwas, das viele ältere Menschen berichten. Es wird irgendwann nicht mehr so wichtig, was andere denken. Ist das nicht herrlich?
Welchen Stellenwert haben soziale Kontakte für unser Glück im Laufe des Lebens – und was raten Sie älteren Menschen, deren Freundeskreise schrumpfen?
Dazu gibt es eine weltberühmte Studie, die sogenannte Grant and Glucks Study. Diese hat Menschen über Jahrzehnte hinweg begleitet und herausgefunden: Die Menschen, die mit 50 die stabilsten und zufriedensten Beziehungen zu anderen Menschen haben, waren mit 80 Jahren am gesündesten und vor allem auch noch am Leben.
Gute Beziehungen machen uns gesund und lassen uns länger gut leben. Deswegen: Pflegen Sie Beziehungen und zwar alle! Die mit dem Kioskverkäufer, der Frau beim Bäcker, der Friseurin, dem Kellner im Bistro – alle Beziehungen machen uns gesund.
Seien Sie offen für unerwartete Gespräche und Begegnungen, sprechen Sie auch mit Menschen aus anderen Generationen, pflegen Sie jede Art von Interaktion. Gehen Sie an Orte, wo Sie anderen Menschen begegnen. Wer sagt denn, dass man mit 76 nicht auch ganz neue Bekanntschaften schließen kann? Dabei helfen wiederum die Hobbys. Treffen Sie Menschen im Fitnessstudio, beim Malkurs oder im Reparier-Café.
Wie ließe sich die Lebenserfahrung älterer Menschen besser in der Gesellschaft sichtbar machen und wertschätzen?
Indem wir alle wieder empathischer werden. Je mehr wir selbst fühlen, dass auch wir irgendwann alt werden, desto mehr haben wir die Möglichkeit zu fühlen, wie wichtig und wertvoll es ist, mit älteren Menschen ins Gespräch zu kommen. Deswegen spreche ich immer von „Inner Change“. Irgendwelche Programme werden nicht wirken, wenn wir sie nicht sinnvoll oder hilfreich finden.
Wir können aber auch Empathie lernen und trainieren. Wie? Indem wir miteinander sprechen. Studien belegen: Wenn wir uns besser kennenlernen, verstehen wir uns auch besser. Was ja logisch ist :-)
Welche Rolle spielt Kreativität für ein erfülltes Altern, und wie können ältere Menschen diese gezielt fördern?
Eine sehr große Rolle! Menschen, die sich kreativ betätigen, sind so viel glücklicher als Menschen, die das nicht tun. Kreativität bringt uns in den Flow – und Flow ist der Zustand im Gehirn, in dem wir nicht grübeln, uns keine Sorgen machen, uns nicht beklagen oder rachsüchtig sind.
Flow bedeutet, ganz im Hier und Jetzt zu sein, in seiner Tätigkeit so aufzugehen, dass man oft vergisst zu essen oder nicht müde wird. Das Gehirn ist so in Beschlag mit dem, was es tut, dass kein Platz für Sorgen ist. Wer jeden Tag dafür sorgt, in den Flow zu kommen, etwas zu basteln, zu bauen, zu malen, ein Instrument zu spielen, etwas zu reparieren, der ist generell zufriedener. Wir alle können – und da schließt sich der Kreis – neugierig bleiben und den Anfängergeist kultivieren. Wer die ganze Welt als Abenteuer und Wunder wahrnimmt, hat mehr Möglichkeiten, in den Flow zu kommen.
Welche Ziele verfolgen Sie mit der Online-Plattform LifeXLab? Wie integrieren Sie dort wissenschaftliche Erkenntnisse, um praktische Werkzeuge für ein erfüllte(re)s Leben vorzustellen?
Vor acht Jahren habe ich eine sehr schmerzhafte Trennung durchlebt. Seitdem beschäftige ich mich damit, was wir selbst jeden Tag tun können, damit es uns besser geht. Auf diese Weise habe ich auch die Neuroplastizität entdeckt, also die Fähigkeit unseres Gehirns, formbar zu sein, bis wir sterben – und zwar formbar von uns selbst!
Seitdem praktiziere ich das, was ich gelernt habe, jeden Tag. Ich forme mein Gehirn, so wie ich es will. Ich achte bewusst darauf, was ich denke, ich visualisiere meine Ziele und lerne mit Absicht Menschen kennen, die die Welt besser machen wollen, um mich mit ihnen auszutauschen und von ihnen zu lernen.
Genau deswegen habe ich LifeXLab gegründet. Ich habe mich gefragt: In was für einer Welt würden wir leben, wenn wir alle lernen würden, unser Gehirn zu formen und unsere Emotionen zu regulieren? Wenn wir in den Flow kommen würden, wenn wir bewusst und empathisch wären? Wenn wir unsere Gehirne dazu benutzen würden, Lösungen, Ideen und Visionen zu generieren?
Ich kenne so viele Studien, ich habe unzählige Bücher dazu gelesen, Interviews geführt, recherchiert und weiß deswegen: Es gibt wissenschaftlich erwiesen Lösungen für unsere Probleme. Sie liegen darin, wie wir unser Wunderwerk Gehirn benutzen lernen. Und all das stellen wir auf unserer Plattform vor, damit jeder zu Hause und ohne viel Aufwand all das Wissen, die Tools und Übungen nutzen kann, die ich mir in vielen Jahren erarbeitet habe.
Zum Schluss: Was macht Sie persönlich glücklich?
Meine Arbeit an LifeXLab. Sie gibt mir bei all den schrecklichen Nachrichten viel Hoffnung. Jeden Tag lese ich wieder etwas Neues über Neurologie oder finde eine neue Studie, die mir Hoffnung gibt. Sei es zum Thema Verbundenheit, geistige Gesundheit, Dankbarkeit, Mut oder Fokus.
Außerdem die Beziehung zu meinem Freund, meine beiden lustigen Kinder, die Berge von Andalusien und mexikanisches Essen.
Über den Autor:
Oliver Schönfeld schreibt als Kolumnist für den Glücksblog auf eurojackpot.spiegel.de
